Zehnte Wanderung 2024: von Sainte-Foy-la-Grande nach Mont-de-Marsan
Ein sehr anspruchsloses Höhenprofil, schnurgerade Wege und große, künstlich angelegte Monokulturwälder. Was kann man da schon groß erwarten? - Los geht's!
Durch die Landes de Gascogne |
Anreise und erster Wandertag (Samstag, 8.6.2024 ca. 10km)
Schon um 5:34 fährt mein Zug ab. Alle Umstiege und der obligatorische Wechsel der Bahnhöfe in Paris funktionieren tadellos. Etwas kurios ist der Ouigo "billig-TGV", bei dem der Rucksack als großes Gepäckstück 5 € extra kostet. So günstig ist die Fahrt von Paris nach Bordeaux dann auch wieder nicht und er wirkt weniger gepflegt als die regulären SNCF-Züge. Aber ok, dafür fährt er pünktlich. Dann noch ein Stück mit dem Regionalzug und ich stehe um 16:45 ziemlich genau an der Stelle, an der ich im Mai 2023 meine Pilgerreise beendet hatte.
Der Plan sieht vor, heute einfach nur eine geeignete Stelle zu finden, an der ich mit dem Zelt übernachten kann. Es ist unangenehm schwül und die um diese Zeit stark befahrene Straße bis Pont-de-la-Beauze ist kein Vergnügen. Danach, über Feldwege und durch Weinberge, geht es schon wesentlich schöner voran.
Die erste Übernachtung |
An einer Schneise im Wald finde ich ein gemähtes Stück Wiese zwischen Weinberg und Waldrand. Ich hatte auf einen sternklaren Himmel gehofft, um ein paar Fotos zu machen. Vielleicht wird das ja in den nächsten Tagen noch besser.
Zweiter Wandertag: von La Bonnetie Haute nach St. Ferme (Sonntag, 9.6.2024 ca. 19 km)
Es regnet. Nicht besonders stark, aber das Zelt muss ich nass einpacken. Hoffentlich gibt es eine Möglichkeit es im Laufe des Tages zu trocknen. In Pellegrue mache ich Frühstückspause und trinke einen Kaffee vor der Bar der kleinen Orts.
Kaffee und Kekse |
Der Blick fällt unweigerlich auf die große Markthalle aus dem vorletzten Jahrhundert, die in bemerkenswert gutem Zustand ist. Zwei Pilger überholen mich und ich unterhalte mich bestmöglich mit zwei älteren Franzosen, die den Sonntagmorgen ebenfalls für einen gemütlichen Kaffee vor der Bar nutzen.
Achtung Pilger! |
Im weiteren Verlauf des Weges begegne ich einem jungen Franzosen, dessen Eltern einen Bauernhof haben, der aber selbst diesen Beruf nicht ergreifen möchte. Er ist unterwegs, um sich darüber klar zu werden, was er künftig machen möchte. Prompt verlaufen wir uns wegen unseres Gesprächs, finden aber gleich wieder einen Weg zurück auf unsere Route und kreuzen das Revier einer Fuchsjagd. Es folgen ein paar sehr schöne Passagen durch die Wiesen und sehr bald erreiche ich Saint Ferme.
Das 1080 gegründete Benediktinerkloster dort ist als Wohn- und Rathaus genutzt und es herrscht erstaunlich viel Betrieb. Heute ist Europawahl! Prima, so kann ich mir wenigstens einen Teil des Rathauses anschauen.
Klosterkirche St. Ferme |
Die ehemalige Klosterkirche ist ein wohltuend schlicht ausgestatteter, romanischer Bau. Bis zur Öffnung der Herberge ein paar Straßen weiter, habe ich die Kirche für mich alleine.
Am Nachmittag hört es auf zu regnen und die Sonne scheint. Auf der Wäscheleine vor der Pilgerherberge trockne ich mein Zelt. Wir sind zwei Gäste an diesem Abend: Frans aus den Niederlanden ist neben mir der einzige Gast in der für sechs Pilger ausgelegten Herberge.
Die Herbergsmutter fragt noch die Wünsche für das Frühstück ab und schon recht bald kehrt Ruhe ein.
Dritter Wandertag: von St. Ferme nach Pondaurat (Montag, 10.6.2024 ca. 28 km)
Der Rucksack ist am Morgen schnell und effizient gepackt, wenn man weder Isomatte noch Zelt gebraucht hat. Dann noch ein kleines Frühstück und die Herbergsmutter winkt zum Abschied.
Abschied von der Herberge in St. Ferme |
Blauer Himmel und Schäfchenwölkchen versprechen ein angenehmes Wanderwetter. Die Temperatur ist seit dem gestrigen Regen wieder in angenehmere Bereiche gefallen als es noch am Samstag der Fall war.
Der Großteil des Weges führt über kleinere Straßen, auf denen es zügig voran geht. In La Reole, ungefähr nach zwei Dritteln des Weges, gibt es eine prima Bäckerei. Hier kommen zur Mittagszeit nach-und-nach alle Pilger durch: Die Belgier (2), Franzosen (3) und Niederländer (1). Die Croissant au Jambon Fromage sind sehr zu empfehlen und ich fülle auch gleich die Wasser- und Brot-Vorräte auf.
Bei der nächsten Pause in Floudes treffe ich auf Hubert, der die Niederländische Mannschaft ergänzt.
In Pondaurat angekommen, sind alle Plätze der Pilgerherberge belegt. Das ist nicht weiter schlimm: ich habe genug Vorräte und hinter der Festhalle des Ortes gibt es eine Wiese mit Bänken, die recht selten benutzt wirkt.
Prima Kochstelle |
Hinter der Festhalle gibt es eine Grillstelle, an der ich komfortabel meinen Kocher aufbauen kann und ein kleines Abendessen bereite. Als es dämmert, baue ich das Zelt auf und beschließe den Tag.
Hier ist nix los |
Vierter Wandertag: Von Pondaurat nach Cazats (Dienstag, 11.6.2024 ca. 23 km)
Einen Bäcker scheint es hier nicht zu geben, aber das ist auch nicht unbedingt nötig, die Vorräte aus La Reole halten noch und an der Strecke gibt es einen Supermarkt. Ich verpacke das halbnasse Zelt und los geht die Pilgerfahrt. Die Wegführung heute vermeidet größere Landstraßen, führt dafür aber etwas unökonomisch über lange Umwege. Schon in Savignac kommt der Supermarkt. Hier gibt es nicht nur Wasser und Brot, sondern auch Kaffee und Croissants. Damit sind die Vorräte ergänzt und ich plane wieder im Zelt zu übernachten.
Auf den Waldpassagen begegne ich auch erstmals einer regionalen Kuriosität: Einer Palombiere. Lange, überdachte und gut getarnete Gänge für die Jagd auf Ringeltauben. Überall gespannte Schnüre und Hebelvorrichtungen ermöglichen es den Jägern an den Bäumen zu rütteln um die Tauben aufzuscheuchen.
Eine Palombiere |
Einige der Waldwege sind für Wanderer vom 1. Oktober bis 20. November komplett gesperrt. Zu anderen Zeiten soll der Wanderer pfeifen, um auf sich aufmerksam zu machen.
Am frühen Nachmittag halte ich nach einem Platz für die Übernachtung Ausschau. Schon bald seht am linken Wegrand ein Schild: "Halte GR Pelerin Compostelle" die Wiese ist gemäht, der Wohnwagen hingegen verschlossen.
Angenehmer Zeltplatz an der Strecke |
Keiner da und alles durchnässt. Egal, offensichtlich ist das genau für mich gedacht und ich richte mich gemütlich ein. Das Wetter bessert sich gegen Abend. Ich kann ungestört mein Abendessen kochen und verbringe eine ruhige Nacht im Zelt.
Fünfter Wandertag: Von Cazats nach Captieux (Mittwoch, 12.6.2024 ca. 23km)
Schon nach wenigen Kilometern komme ich auf die zum Rad- und Wanderweg ausgebaute, stillgelegte Eisenbahnstrecke. In Bazas besuche ich die Kathedrale und ergänze beim Supermarkt meine Vorräte. Viel muss ich nicht tragen, denn am heutigen Ziel soll es zwei Supermärkte geben. Es geht dann auf der Bahnlinie schnurgerade und und wie im Fluge voran. Hier beginnen die großen Eichen- und Kiefernwälder, durch die der Weg nun führt. Je nach dem wer der Pilger gerade Pause macht wird überholt. Ich treffe die Belgier, die Französinnen und das niederländische Team.
Hier verläuft sich keiner |
Die gerade, flache und damit völlig unschwierige Strecke lässt den Kopf frei werden. Natürlich nur soweit es mein Schnupfen zulässt. Von den Kiefern, die eigentlich intensiv riechen sollten, nehme ich nichts wahr. Die gute Luft macht das Geschniefe aber erträglich.
Genau zeitgleich erreichen Frans und ich unseren Zielort Captieux. Im Rathaus bekommen wir den Schlüssel zum Refuge Municipal, wo wir uns als die beiden einzigen Gäste einrichten.
Schlicht aber ausreichend |
Im Supermarkt finde ich ein "Rillettes de Canard", das hier am Ort hergestellt wurde. Kein billiger Spaß, aber sehr lecker. Dazu Brot und Käse.
Nach zwei Nächten im Zelt ist mir die Dusche sehr willkommen. Die Unterkunft ist sehr schlicht und wäre voll belegt sicher kein großer Spaß, aber für zwei Pilger sehr entspannt.
Sechster Wandertag: Von Captieux zur Chapelle de Lugaut (Donnerstag, 13.6.2024 ca. 26km)
Kurz Ordnung und Sauberkeit im Refuge wiederhergestellt und schon geht es wieder los. Ein kurzer Umweg über den Bäcker und weiter auf der schnurgeraden Strecke.
Vom westlich des Weges liegenden Militärgelände höre ich den ganzen Vormittag über Lärm von Flugzeugen und Explosionen. Das passt so gar nicht in die friedliche Landschaft.
Der Weg ist nun weniger gut ausgebaut und nach der Überquerung der unendlich lang erscheinenden Autobahn geht es nun auf Feldwegen weiter. Der Boden wird jetzt teilweise sandig.
Es wird sandig |
Spätestens jetzt bin ich in den Landes de Gascogne angekommen. Es wundert mich nicht, daß diese Gegend bei den mittelalterlichen Pilgern gefürchtet war: Bremsen und Schnaken sind trotz der Trockenlegung noch zahlreich. In den Gräben steht das Wasser. Durch die Aufforstung seit dem 18. Jahrhundert gibt es mittlerweile eine dünne Humusschicht. Dort wo die nicht vorhanden ist, ist das Gehen anstrengend, weil die Schuhe tief in den feinen Sand sinken.
Das ist eher untypisch |
Die Dörfer sind weniger zahlreich als in den letzten Tagen. Dafür gibt es jetzt immer wieder gerodete Lichtungen mit mageren Wiesen voller blühender Blumen.
Es geht gut voran und ich erreiche die von mir als Übernachtungsplatz geplante Chapelle de Lugaut, die auf einer großen Lichtung im Wald liegt.
Chapelle de Lugaut - Geschlossen |
Im Sommer muss hier eine Menge los sein: Parkmöglichkeiten für PKW und Busse sind ausgeschildert, Picknickplätze mit Tischen und Bänken stehen bereit.
Die Kapelle ist aber geschlossen. Das ist kein Wunder, denn die Fresken möchte man sicher nicht unbeaufsichtigt lassen. (siehe hier).
Super praktisch hingegen: Die Toilette im Haus neben der Kirche ist sauber und geöffnet. (Ok, sicher nicht mit Absicht, da ein Verlängerungskabel die Tür blockiert.) Da hatte ich schon Campingplätze mit weniger Komfort.
Käsenudeln zum Abendessen |
Frans hatte mir am Morgen die Hälfte seiner Nudeln vermacht, die sich jetzt in leckere Käsenudeln zum Abendessen verwandeln lassen. Etwas geschützt hinter den Bäumen baue ich mein Zelt auf, erkunde noch kurz die Umgebung und beschließe den Tag.
Siebter Wandertag: Von der Chapelle de Lugaut nach Bostens (Freitag, 14.6.2024 ca. 20 km)
Es regnet. Bevor es so richtig losbricht, bringe ich meine Sachen unter dem Vordach der Kapelle in Sicherheit. Es hilft aber alles nichts: Ich mache mich bestmöglich wasserdicht und gehe los.
Der Weg führt über Roquefort (nein: schon genau wie der Käse, aber das ist nicht dieses Roquefort). Schon an der ersten Kreuzung lädt eine Bar zum Morgenkaffee. Die schöne, verwinkelte Kirche liegt auf einem Hügel an der Stadtmauer oberhalb des Flüsschens Douze. Am Ortsende wartet eine gut sortierte Bäckerei.
Mit aufgefüllten Vorräten und einem entsprechend schweren Rucksack pilgere ich zuerst auf Sandwegen, später auf keinen, geteerten Straßen weiter. Meine Planung für die Übernachtung ist noch etwas unscharf. Irgendwo um Bostens herum wäre gut, wenn ich etwas fände. Das würde für die beiden letzten Streckenabschnitte heute und morgen jeweils schön ausgewogene Distanzen ergeben.
Prima eingelaufen und mit nur einer einzigen, eher kleinen Blase am Zeh, komme ich gut vorwärts und viel schneller als erwartet erreiche ich Bostens. Ich setze mich auf eine der die Bänke vor der Kirche, um ein verspätetes Mittagessen zu verputzen. Kaum eine halbe Stunde später sitzt ein Großteil der "üblichen" Pilger mit dabei. An der fantastischen, romanischen Kirche scheint außer mir keiner Interesse zu haben. Im Narthex der Kirche ist rechts eine niedrige Tür, die den Pilger zur Einkehr auffordert. Zu meiner Verwunderung finde ich einen rustikal ausgestatteten Raum mit Tisch, offenem Kamin und kleiner Küche.
Pilgerstube in Bostens |
Im Süden der Kirche ist eine Rasenfläche, dahinter eine öffentliche Toilette. Perfekt! Hier bleibe ich.
Ein wenig später setzt leichter Regen ein und ein zweiter Pilger gesellt sich mit seinem Zelt dazu. Er leidet ziemliche Schmerzen wegen seiner wunden Füße. Kein Wunder bei den 40km, die er täglich zurücklegt. Aber es sei der letzte Tag für ihn, seine Frau sammle ihn morgen in Mont de Marsan ein.
Nettes Plätzchen |
Ich besichtige noch die Kirche, die ich wieder ganz für mich habe und den dahinter liegenden Friedhof. Eine Frau, die gerade Gräber pflegt, berichtet, daß hier eine Pilgerherberge entstehen soll. Die Arbeiten gehen aber nur langsam voran. Gegen zeltende Pilger hat man hier nichts einzuwenden. Falls der Regen zu schlimm werden sollte, sollten wir doch unsere Matratzen nehmen und im Aufenthaltsraum Schutz suchen. - Obwohl aus der Ferne Donner grollt, bleibt der Regen eher harmlos.
Achter Wandertag: Von Bostens nach Mont-de-Marsan (Samstag, 15.6.2024 ca. 20km)
Ich rufe die Nummer der "Amis de St Jacques des Landes" an und bekomme von Jean Pierre ein Bett in der Pilgerherberge zugesagt. Na dann kann ich den Tag ja gemütlich angehen. In der Bar "Au Coeur des Landes" gibt es Kaffee, Croissants und Chocolatines. Und die Sonne kommt raus. Also mache ich nach noch nicht einmal vier Kilometern eine ausgedehnte Frühstückspause. Die Französinnen sind auch da, sie haben hier im Gästezimmer der Bar übernachtet.
Lecker! |
Am Treppengeländer des Rathauses von Bougue trockne ich mein Zelt in der Sonne. Von hier aus geht es wieder einmal auf einer stillgelegten und zum Rad- und Wanderweg ausgebauten Bahnstrecke schnurgerade nach Mont-de-Marsan.
Den Schlüssel für die Pilgerherberge bekomme ich im asiatischen Supermarkt zwei Straßen weiter. Ich bin scheinbar der einzige Gast in der großen Herberge. Das Gebäude ist interessant. Außen noch die ursprüngliche Aufschrift "BAINS - DOUCHES", ist es innen V-förmig in zwei Flügel aufgeteilt. Geöffnet ist nur der rechte Flügel. Dort gibt es fantastisch großzügige Duschen. Da, wo einst wahrscheinlich die Badewannen standen sind nun die Betten für die Pilger. Ich beziehe eines der Betten und mache noch einen Ausflug in die Stadt. Buchhandlungen, Supermarkt... alles da. Ein sehr schönes Städtchen.
Tolle Herberge! |
Am Abend schaut Jean Pierre noch nach dem Rechten. Den Schlüssel soll ich einfach in der Herberge hängen lassen, wenn ich morgen gehe.
Ich dusche noch lange und heiß, bevor ich mich in meinen Schlafsack kuschle.
Neunter Tag: Rückreise (Sonntag, 16.10.2024)
Jean Pierre hatte mir nicht nur den Weg zum Bahnhof erklärt, sondern auch den besten Bäcker am Ort empfohlen. Also packe ich meine Sachen reisefertig ein und wandere zuerst zum Bäcker, um ein kleines Frühstück und etwas Proviant für die Rückfahrt einzupacken.
Was man nicht sieht: Es ist voll hier! |
Der Zug ist pünktlich und alle Anschlüsse passen. In Paris habe ich noch Zeit für einen Ausflug zum Eiffelturm. Dort ist eine gigantische Baustelle, da auf dem Marsfeld einige der Wettkämpfe der olympischen Spiele stattfinden werden. Gegen 22:30 bin ich zurück in Heilbronn.
Das war super easy und erholsam: Für die einfache Strecke haben die leichten Halbschuhe völlig ausgereicht, und die Füße blieben weitgehend blasenfrei. Jetzt wäre ich perfekt eingelaufen, um auch längere oder schwierigere Strecken locker zu wandern. Der kräftige Schnupfen, mit dem ich gestartet war hat sich weitgehend verzogen und hatte mich während der Wanderungen kaum beeinträchtigt. Ich kann ja im nächsten Jahr noch ein bisschen schnuppern wie die Landes riechen.